Wie Bewegung heilen kann.

Im Winter 2024 hatte ich noch drei Monate Zeit, um meine Masterarbeit abzuschließen. Die Krönung eines jeden Masterstudiengangs und der finale Schritt für mich, um mich endlich Psychologin nennen zu dürfen. Ich verspürte den üblichen Druck, den man in Prüfungsphasen so hat. Alles in allem war ich jedoch zuversichtlich, dass ich es schon irgendwie schaffen würde.

Doch dann wurde mein Vater von einem Tag auf den anderen sehr schwer krank. Er lag im Koma und die Chancen lagen sehr schlecht. Als meine Mutter mich anrief, um mir das zu sagen, befand ich mich gerade in Kalifornien – genauer gesagt am Ocean Beach in San Francisco, wo mein Mann und ich gerade einen unbeschwerten Vormittag verbracht hatten. Diese Nachricht riss mir den Boden unter den Füßen weg. Das war das erste Mal, dass ich wirklich begriff, wie sich das eigene Leben innerhalb einer Sekunde um 180 Grad drehen kann. Am nächsten Tag flog ich nach Deutschland. Was folgte, waren tägliche Besuche auf der Intensivstation und mehrere Monate voller Angst um sein Leben. Mein Winter war geprägt von Trauer, Unsicherheit und emotionaler Erschöpfung. Ich hatte unglaubliche Angst, dass wir ihn verlieren würden. Und gleichzeitig war da konstant diese Stimme in meinem Hinterkopf, die mir sagte, dass mir all das auch meinen Abschluss kosten würde.

Die Sorge um meinen Vater hat eine Kaskade von Ängsten ausgelöst: Mein gesamter Körper war auf Alarm geschaltet und jede noch so kleine Unsicherheit fühlte sich extrem bedrohlich an. Mein Kopf wollte nur eines: Weitere Katastrophen verhindern.

Ich wusste, so konnte es nicht weitergehen. Ich wusste, ich musste etwas tun, sonst würde ich an all dem psychisch und körperlich zergehen.

Yoga war mein Anker.

Ich mache schon ziemlich lange Yoga. Dabei ging es mir vor allem immer darum, mich zu bewegen, zu dehnen und auch ein bisschen Achtsamkeit in mein Leben zu bringen. Während einer Weiterbildung zu somatischer Therapie lernte ich jedoch, dass Yoga weit mehr als nur entspannend ist. Yoga kann ein extrem wichtiges Hilfsmittel zur Regulation des Nervensystems sein. Ich bekam ein ganz neues Verständnis für das, was ich schon so lange praktizierte. 

Im Yoga geht es um das Zusammenspiel von Bewegung und bewusster Atmung. Dies ist ein entscheidender Wirkmechanismus in der somatischen Therapie. Durch dieses Zusammenspiel kann der Körper emotionale Spannungen lösen und ein Gefühl von Sicherheit wiederherstellen.
Unter hohem Stress gerät unser System nämlich in den sogenannten Fight-or-Flight-Modus, wodurch es konstant auf der Suche nach Bedrohungen ist. Selbst kleine Dinge fühlen sich dann lebensbedrohlich an. Wenn dieser Modus langfristig anhält, ist das eine große Belastung für unser System und kann mentale und körperliche Probleme verursachen. Deshalb ist es vor allem in stressigen Phasen extrem wichtig, unserem Körper immer mal wieder aktiv zu signalisieren: Du bist sicher. Du darfst loslassen.

Für mich war Yoga diese Art der Nervensystemregulation.

Aber für dich kann es etwas ganz anderes sein. Und das ist völlig in Ordnung. Es gibt viele Wege, dein Nervensystem zu regulieren.
Unter anderem:

  • Atemtechniken wie Pranayama
  • Progressive Muskelentspannung (PMR)
  • Freier Tanz oder intuitive Bewegung
  • EFT-Tapping
  • Bewusste Zeit in der Natur
  • Kälte- oder Wärmereize (z. B. kalte Duschen oder Sauna)
  • Kampfkünste, Qigong oder Tai Chi
  • u.s.w.

Jeder Mensch ist anders. Die beste somatische Übung ist die, die sich für dich stimmig anfühlt.

Im Yoga geht es nicht darum, die perfekte Pose zu halten, sondern um das bewusste Wahrnehmen des eigenen Körpers. Es geht darum, zu lernen, in deinen Körper hinein zu hören und dich selbst mit mehr Fürsorge, Neugier und Mitgefühl wahrzunehmen. So merkst du beim Yoga vielleicht wie eine bestimmte Haltung eine bestimmte Emotion in dir auslöst oder wie ein tiefer Atemzug den Druck in deiner Brust löst. Solche Erfahrungen sind die ersten Schritt in Richtung mehr Körperbewusstsein und der Grundbaustein für ein ausgeglichenes Nervensystem.

Was sagt die Wissenschaft dazu?

Natürlich wäre ich nicht ich, wenn ich meine Aussagen nicht mit Studien belegen würde. 

Hier sind einige spannende Erkenntnisse aus der Forschung:

  • Eine Studie von Lehrer et al., 1999 zeigt, dass die bewusste Änderung der Atmung Symptome von Wut, Angst und Depression lindern kann.
  • Yoga verbessert nachweislich die Herzratenvariabilität (HRV), ein zentraler Indikator für ein ausbalanciertes Nervensystem (Van der Kolk, 2006).
  • Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung profitieren besonders stark von den Wirkungen von Yoga. Dabei hängt Yoga bei Menschen, die Trauma erlebt haben, mit einer verringerten Übererregung zusammen und kann ihnen helfen, zurück zu ihren Körper zu finden (Van der Kolk et al., 2014).
  • Yoga erhöht die Aktivität in Hirnarealen, die mit Selbstwahrnehmung zusammenhängen – z. B. der Insula und dem medialen präfrontalen Cortex (Hölzel et al., 2005). Das hilft dabei, Emotionen besser zu erkennen, Klarheit über innere Prozesse zu gewinnen und dadurch stimmige Lösungen zu finden.

Ob Yoga, bewusste Atmung, Qigong oder achtsames Gehen: Körperarbeit ist ein ganz wichtiger Faktor im emotionalen Heilungsprozess. Bewegung verändert nicht nur, wie wir uns körperlich fühlen, sie beeinflusst, wie wir emotional und mental mit uns selbst umgehen.

Falls du gerade durch eine schwierige Zeit gehst: Du bist nicht alleine.
Als psychologische Beraterin unterstütze ich dich dabei, schwierige Emotionen aufzuarbeiten, in Kontakt mit deinem Körper zu kommen und individuelle Tools für deinen Weg zu finden.

Mit Liebe,
Ricarda

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